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"Physis und Psyche", Kunsthalle Kapfenberg und Schloss Ulmerfeld (Katalog), 1999

„Physis und Psyche“

Dr. Karl A. Irsigler,1999

 

Franz Schwarzinger räumt phantastischen Kreaturen in seinem OEuvre einen besonderen Platz ein. „Weit aufgerissene Augen, zusammengepresste Lippen, kahle Schädel ohne Hals und Ohren starren uns aus einer undefinierbaren sphärischen Räumlichkeit entgegen und ziehen uns in ihren Bann.“ (1) In heiterer Atmosphäre verströmen diese Wesen emotionelle Kraft, indem sie an Fabelwesen, an Märchen und, bis zu einem gewissen Grad, auch an Science Fiction erinnern.

Max Beckmann ist für Schwarzinger eine der größten Malerpersönlichkeiten Europas und das deutsche Gegengewicht zu der Kunstikone Picasso. Daher ist es für ihn auch legitim, ihn faszinierende Details aus dem Beckmannschen Motivschatz zu verwenden. Im Jahr 1991 kommt es zu je einer interessanten Rezeption der Zeichnung „Father Christmas" von 1944 und des Gemäldes „Reise auf Fischen" von 1934, wobei letzteres schon auf Max Klingers „Verführung`; einer Radierung aus dem Jahre 1884, basiert. Über die ganze Höhe des Bildraums erstreckt sich bei Beckmann ein Figurenpaar, gelagert auf zwei Fischen, die auf den Rand eines schwarzen Meeresabgrundes zustürzen. Schwarzinger übernimmt das zentrale Bildsujet, das Miteinander des Fischpaares mit ihren weit aufgerissenen Augen, doch ist es hier kein Menschenpaar, sondern eine einzelne männliche Gestalt, die auf dem Rücken des linken Fisches zu liegen scheint. Beckmann, so darf vermutet werden, gab seiner eigenen Lebenssituation in dem Gemälde Gestalt, das die Verkettung zwischen ihm und seiner um 20 Jahre jüngeren Frau Quappi angesichts des schon herrschenden Naziterrors zu symbolisieren scheint. Dieser zwang ihn 1937 ins Exil nach Amsterdam und veranlasste ihn mit Kriegsende zur Emigration in die USA, nach Saint Louis. Doch nicht nur die persönliche Situation des Künstlers und seiner Frau und die unzweifelhaft rettende Funktion und Metaphorik der Fische zeigen sich bei Beckmann und bei Schwarzinger, sondern auch der Konflikt zwischen Körper und Seele manifestiert sich im Fisch. Das Meerestier ist Symbol für Anima und Sinnbild für die zyklische Regeneration der jeweiligen Lebensphasen. Mit Wasser und der Abfolge der Gezeiten ist von jeher die auch bei der Taufe wirksame Vorstellung von Erneuerung verbunden: Die Seele kehrt zurück ins Urelement, um im Sinne eines ewigen Kreislaufes gereinigt daraus hervorzugehen.

Zu dem ebenfalls 1991 entstandenen Gemälde „O. T." (nach Beckmann) steht Beckmanns „Father Christmas" Pate. Die romantische Attitüde der beiden symbolgeladenen Bilder ist unverkennbar, der Mensch ist seiner Individualität enthoben. In Farbräumen ringend oder schwebend erinnert er in Schwarzingers Arbeit an die grobplastischen Körperwelten Beckmanns, aber auch an dessen Liebe zur Verschlüsselung von gemalten Inhalten. Schwarzinger geht mit dem Original sehr freizügig um, übernimmt fragmentarisch, moduliert, und weiß genau, was er will. Durch die beinahe antiken Formenmuster, die er von Beckmann übernimmt, erfährt die Doppelbödigkeit des „Father Christmas“‑Sujets einen unerwarteten Höhepunkt. Der Leib ringt mit der Seele, auch Eros und Weltschmerz sind Motive und mögliche Lesarten. In beiden Arbeiten spiegelt Schwarzinger eine konkrete Lebenssituation wider, die einerseits mit seiner eigenen Biographie (Sturz und kosmischer Höhenflug bei der „Reise auf dem Fisch") in Verbindung zu bringen ist und andererseits die tiefe und ehrliche Bewunderung für Max Beckmann signalisiert.

 

(1) Ulrike Maria Emberger‑Gaisbauer, Erstarrtes und Ausbrechendes, Verdrängtes und Befreites. In Franz Schwarzinger, Katalog, Hrsg. U. verl. v. d. Galerie Chobot. Wien,1993.

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